Der teuerste Schirm in der DDR kostete 96 M

Im Chemnitzer Stadtteil Siegmar befand sich ein Teil (von vier) des VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt, der Betriebsteil für die Metallverarbeitung und die Betriebsdirektion.
In unmittelbarer Nähe befindet sich das Ladengeschäft „Schirm Gey“. Im Dezember telefonierte ich mit der Inhaberin, Frau Friedrich, und wir vereinbaren ein Treffen im Januar.

Ich überquere die Zwickauer Strasse und betrete das Geschäft. Der Verkaufsraum ist groß, von der Decke hängen unterschiedliche Schirme. Neben der Registrierkasse befinden sich kleine Seifenstücke, Räucherkerzen, weitere Geschenkartikel. Ein Werbeschild der Firma Doppler ist zu sehen, sie verkauft Schirme dieser und anderer Marken. Ich erhoffe mir Unterstützung von Frau Friedrich. Sie kennt Frauen, die in der Schirmfabrik gearbeitet haben. Ich habe einen Text vorbereitet und ausgedruckt:

Im Rahmen einer Forschungsarbeit suche ich nach Mitarbeiter/innen der ehemaligen Schirmfabrik, die Interesse an einem Gespräch haben. Mich interessiert Ihre Sicht. Die Informationen, die ich bisher über die einzige Schirmfabrik in der DDR im Staatsarchiv gefunden habe, sind mir zu einseitig. Was mich interessiert sind Fragen der Herstellung und des Wertewandels von Schirmen. Hat sich bei Ihnen das Bild vom Regenschirm verändert? Gibt oder gab es eine Identifikation mit den Schirmen? Sehen sie, wie ich, jetzt die weggeworfenen Schirme auf der Strasse liegen? Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich in meiner Arbeit und Recherche unterstützen und hoffe sehr auf Ihre Rückmeldung.

Während des etwa 15minütigen Gesprächs erfahre ich:
„Schirm Gey“ trägt den Namen Ihrer Eltern, der Vater war Schirmmachermeister und leitete vor der Wende das private Unternehmen.
Die Menschen sind zum Schirm Gey gekommen, um sich die Schirme reparieren oder neu beziehen zu lassen. Es gab Musterbögen, nach denen man sich die Stoffe aussuchen konnte. Der teuerste Schirm in der DDR kostete 96 M. Heute sei es schwierig, den Leuten  zu erklären, warum Sie 40€ für einen Schirm ausgeben sollten, wenn man auch welche für 3€ bei Rossmann kaufen kann. Dass der nur die Treppe runter hält, ist den Leuten egal. Ist ja bei Kaffeemaschinen ähnlich – alles für Kurzlebigkeit produziert. Sie bietet auch heute noch den Reparierdienst an und arbeitet dafür mit einer Fachfirma zusammen.
Aus „Datenschutzgründen“ kann Sie mir Ihre Kontakte zu ehemaligen Arbeiterinnen des VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt nicht geben. Die Ausdrucke kann ich aber da lassen. Den Hinweis, dass Sie nicht daran glaubt, dass jemand Interesse an einem Gespräch hat, sammele ich noch mit ein. Ich soll mich in 14 Tagen bei Ihr melden.

Durch die staatlichen und privaten Dienstleistungseinrichtungen werden jährlich ca. 350 Stck Schirme insbesondere durch Neubezug, zum Durchschnittspreis von 35,00-45 M […]instandgesetzt. Dieser Sektor wird bekanntlich weiter ausgebaut und das System von Umtauschschirmen forciert.
[Sächsisches Staatarchiv, Staatsarchiv Chemnitz , 31086 VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt]

Kommentar von E. Strangfeld:
Die teuersten Schirme der Schirmfabrik waren der Damenschirm „APART“ ein Stockschirm mit Holztop und Holzgriff sowie einem Umhängegurt aus Rindsleder und der Damenschirm „OPAL“ mit einer Ledertrageschlaufe. Beide Schirme wurden für die Exquisitläden hergestellt. Es ging hier vorallem um höhere Preise. Angedacht war der „APART“ für 122 Mark und der „OPAL“ für 126 Mark (laut meinen Unterlagen). Ich glaube der Verkaufspreis lag über 130 Mark (nicht gesichert).
23.02.2021