Seit 2011 finde ich in der Landschaft herumliegende Regenschirme. Die Auffindsituationen lassen vermuten, dass die Besitzer ihre Schirme weggeworfen haben oder der Sturm sie ihnen aus der Hand nahm. Weitere Indizien dafür sind, das alle von den mitgenommenen Schirmen kaputte Streben aufweisen, sie funktionieren nicht mehr, lassen sich nicht aufspannen, nicht schließen – sie können ihre vorgesehene Funktion nicht mehr erfüllen. Einst schützten die Schirme ihre Besitzer vor widrigem Wetter, nun liegen sie ausgedient in der Landschaft und erinnern an Blüten. Bevor ich sie ihrer Umgebung entnehme, dokumentiere ich den Fundort. Im Atelier näherte ich mich Ihnen mit einer Reihe von Zeichnungen, arbeitete mit „assoziativem“ Material, dem Kunstharz. Assoziativ, weil ich an Insekten in Bernstein denken musste. Zwischen den Häuserhälften des Atelierhauses A102 installierte ich einen überdimensional großen Schirm. Das Haus, welches ursprünglich abgerissen werden sollte, beherbergt mittlerweile Ateliers, Proberäume, ein Fotostudio, Galerie, Bar, Imbiss. Ich sah zwischen Abriss – Bewahren, Wegwerfen – Aufheben einen Zusammenhang.
Die Heimatlosen stellen einen phonetischen Bezug zu den Herbstzeitlosen, einem Liliengewächs, welches von September bis Oktober als Spätblüher den Winter ankündigt, dar. Heimatlos beschreibt einen Zustand. Die meisten der bisher gefundenen Schirme wurden billig hergestellt, um günstig verkauft zu werden. Sie wurden für Kurzlebigkeit produziert, sind austauschbar und heimatlos.
Letztes Jahr begann ich mit Videoaufnahmen, die ich als Skizze betrachte. Sie dokumentieren Arbeitsprozesse. Ich zerlege die Fundstücke in ihre Einzelteile. Ich sortiere sie, wasche den Bezug und bügle ihn. Es sind Tätigkeiten, die möglicherweise bei der Produktion eines Schirmes stattfinden könnten. Ich drehe das Ganze und betreibe ein Ritual des vergeblichen Handelns.
Durch einen Zufall erfuhr ich, dass es in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz bis 1992 eine Schirmfabrik gab. Ich beschließe, mich intensiver auf Spurensuche zu begeben.
Anfang Dezember 2019 recherchierte ich nach Material im Stadtarchiv Chemnitz. Die Datenbank zeigte eine Trefferquote von 40 Stichpunkten bei Eingabe des Begriffes „Schirmfabrik“ in die Suchmaske. Die Sachbearbeiterin wollte wissen, ob ich für eine wissenschaftliche Arbeit nachfrage. Sie empfahl mir, mich an das Staatsarchiv Chemnitz zu wenden, dort seien die ehemaligen VEBs archiviert und ich würde einiges mehr zum VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt finden.
Seitdem betreibe ich eine Materialsammlung. Ich nutze ein Buch, um Notizen tagebuchähnlich festzuhalten. Ich veröffentliche diese Notizen unter dem Titel Adorfer Frauen – eine Spurensicherung in diesem Blog.
Die Bezeichnung Adorfer Frauen steht für mich stellvertretend für alle Arbeiter/innen des VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt, die mit ihrem unzähligen Hin- und Herlaufen, ihrer Kunstfertigkeit, ihrem Erfindergeist und ihrer Schöpferkraft, die Produkte hergestellt haben. Weiter steht die Bezeichnung für Schönheit. In Adorf befand sich die Konfektionierung. Die Schirme erhielten dort ihr vollständiges Kleid, um später einmal ausgeführt zu werden.