Wohin die Reise geht

Inge Wunderlich, Die Iranerin M.M., 1960/70
Mischtechnik auf Hartfaser

Die Iranerin M.M. ist Titel eines Gemäldes von Inge Wunderlich und derzeit Teil der Ausstellung Bilderkosmos Leipzig 1905-2022 im Museum der Bildenden Künste. Auf diesem ist eine Frau, vermutlich die Treppen des Leipziger Hauptbahnhofes Richtung Ausgang hinabsteigend, zu sehen. In ihrer Handtasche steckt eine Zeitschrift mit den Lettern NBI1 und ein Regenschirm. Beim Regenschirm bleibe ich hängen.

Detail aus „Die Iranerin M.M.“


Ich sehe einen Schirmgriff mit zusammengefaltetem zehnteiligem Schirmgestell aus der Tasche ragen. Die Farbigkeit des Schirmbezuges lässt ein Violett erahnen. Ob dieser ein Muster aufweist verrät die Darstellung nicht.
Die Entstehungszeit des Gemäldes ist mit 1960/70 datiert. Zu dieser Zeit wurden beim VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt noch zehnteilige Schirme hergestellt. Um Material zu sparen, stellte man die Schirme später auf achtteilig um. Ungefähr 1962/64, wahrscheinlich später vermutet Frau Aurich. Als sie 1960 ihre Ausbildung zur Konfektionsnäherin beendete, bestanden die Schirme aber auf jeden Fall noch aus zehn Teilen. Auch die Form des Metallgriffes erinnert an die von Schirmen des VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt. In meinen Unterlagen finden sich Abbildungen ähnlicher Griffe beim Juwel-Damentaschenschirm.

Gummibändchen komplett mit Knopf, Knopfring und Litze

Das aus der Handtasche der Frau blitzende bräunliche Bändchen könnte einen weiteren Hinweis auf den Hersteller geben. Von Frau Speck erfuhr ich, dass die Gummibändchen zum Zubinden des Schirmes am Ende einen kleinen Metallring besaßen. Durch diesen wurden kleine Bändchen eingeknüpft. Der entstehende Knoten erinnerte an einen Schlips. Frau Speck nannte es Schlipseln und diese Tätigkeit hat sie in Heimarbeit gemacht, als sie mit ihrem Kind noch zu Hause war. In einem Ersatzteilkatalog für Schirme des VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt wird dieses Bändchen auch Litze bezeichnet. Weitere Schirmdetails sind auf dem Bild nicht zu sehen, um mit Sicherheit sagen zu können, dass es sich um einen Schirmfabrikschirm handelt.
Inge Wunderlich ist 2017 verstorben. Ich kann Sie nicht nach dem Schirm fragen. Ich finde einen Eintrag über die Malerin auf der Website der Stadt Leipzig. Ich finde auch heraus, wer sich hinter den Initialen M.M. verbirgt und telefoniere mit der damals Porträtierten. Frau M. kann sich an den Regenschirm leider nicht mehr erinnern, nur an die Tasche. Sie war damals sehr jung und gehörte zum Bekanntenkreis von Inge Wunderlich. Ich erzähle ihr, dass ich das Gemälde erst im April im Museum der Bildenden Künste gesehen habe. Frau M. sagt, dass sie gleich Gänsehaut bekommt, denn sie ist jetzt sehr alt und sie wusste nicht, wo sich das Gemälde befindet.
Es gibt Kunstwerke, auf denen Schirme immer mal wieder Motiv sind.
Die Iranerin M.M. ist die einzige mir bisher bekannte bildkünstlerische Arbeit, die einen Schirm zeigt, wo man womöglich den Hersteller ausmachen könnte.

1 NBI – Neue Berliner Illustrierte