Kollektiv: Eine unter Gleichen

Also, es war im Prinzip durch die Leistung der einzelnen Kollegen so errechnet, das wir 8500 Schirme am Tag machen konnten. Setzte natürlich voraus, dass jeder Maximalleistung brachte und das alles Material vorhanden war, was wir gebraucht haben. Damit war die Stückzahl möglich. Es gab aber auch Probleme, wie in jedem anderen Betrieb auch.

„Seit Anfang des neuen Planjahres steht das Betriebskollektiv des VEB Spezialschirmfabrik im harten Ringen um die Planerfüllung. Deshalb gefiel es den Werktätigen durchaus nicht, dass in den ersten Wochen bedingt durch den hohen Krankenstand, Planschulden entstanden. Allein durch die Schneekatatrophe am Freitag, dem 6.März, fiel die Produktion von rund 3000 Schirmen aus, weil die aus den umliegenden Orten kommenden Frauen nicht am Arbeitsplatz erscheinen konnten.“ 1

Wir hatten jeden Tag Meisterbesprechung. Da wurde zum Beispiel auch besprochen, wer wo wegen Krankheit fehlte und ob nicht einer meiner Lehrlinge aushelfen könnte. So wurden sie dann in die Produktion integriert. Sie konnten zwar noch nicht so schnell arbeiten, aber mindestens genau so gut, wie die anderen.

Wir hatten ein Brett mit einem Bogen Papier. Wir notierten darauf den Name der Kollegin und den Arbeitsgang. Es wurde die Zeit aufgeschrieben. Zum Beispiel wenn Schirmstabspitzen angesteckt und geheftet wurden, wurde fortlaufend die Differenz abgelesen. Nun ist es ja so, wer arbeitet denn zu 100%. Zur Normung zu sagen, ich mach jetzt 100%, dass ist fast ein Unding.

„Am Band sehe ich ein schlankes, rotblondes Mädchen mit lustigen Sommersprossen. Sie näht Bezüge. 220 Stück täglich sind die Norm, sagt B. Sprießer. Ich versuche, mehr zu schaffen. Auf 225 bis 230 komme ich.“ 2

Die Vorgaben für Aufträge kamen aus Siegmar. Je nach Größe des Auftrages habe ich z.B. sechs bis acht Rollen Seide mit einem Wagen aus dem Seidenlager geholt und zum Schweißen bzw. zum Zuschnitt rausgeschafft. Man wusste dann schon wie viel Rollen man ungefähr für 1000 Schirme benötigt.

Ich glaube 860m Stoff befanden sich auf einer Rolle. Die Stoffbahnen mussten auf den Tisch aufgezogen werden. 7m hin und 7m zurück, bis die Rolle alle war. Das waren 120 Auflagen, die eigentlich akkurat aufeinander liegen mussten. Die Dreiecke wurden mittels Schablone aufgezeichnet und anschließend mit einer Handschneidemaschine aus den 120 übereinander liegenden Lagen geschnitten.

„Etwa zwei Millionen Quadratmeter Schirmseide, ein hochwertiges Polyestergewebe, werden jährlich im VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt zu 2,4 Millionen Regenschirmen verarbeitet.“ 3

Im Lager befanden sich Gestelle, Hüllen, Träger, Kronenringe, Schirmstabspitzen, Druckknöpfe und Federn. Alles Kleinteile, die zum Schirm gehörten. Wenn zum Beispiel ein Auftrag über 800 Damenschirme kam, wusste ich, da kommen neben den 800 Gestellen, 800 Hüllen, 800 Träger etc. in die dafür vorgesehenen Kisten. Diese wurden dann vom Transporteur ans Band geliefert und dort verarbeitet.

In allen vier Werkteilen des VEB Schirmfabrik – darunter auch in Adorf – erhielten vorgestern die Werktätigen an ihrem Arbeitsplatz ein kleines Präsent überreicht, auf dem zu lesen stand „Plansilvester 1977“. […]Gegenüber dem Vorjahr wurden 55 000 Minimatik mehr produziert und auch die Verpflichtung im Gegenplan, 7000 Taschenschirme zusätzlich herzustellen, wurde bis 27. Dezember eingehalten.“ 4

Die Teile kamen vom Zuschnitt runter in 60er Päckeln. Vorne die Bandeinlegerin öffnete diese und legte Päckeln zu je 15 in einen neuen Kasten. An denen waren Bons befestigt, was dann später unser Geld war. Die Kästen liefen auf einem Transportumlaufband.
Wenn ich mit einem Kasten fertig war, schob ich diesen wieder aufs Band und holte mir einen neuen. Und so ging das immer weiter. Genäht, genäht, genäht, wieder drauf gesetzt und immer meinen Bon für die 15 Bezüge abgemacht. Das war mein Lohn, der abends bzw. am Monatsende zählte.

Wenn neuer Zwirn angesetzt wurde, stimmte mitunter das Nahtbild nicht mehr. Der Zwirn war sehr unterschiedlich. Wenn die Frauen langsam genäht haben, ging das vielleicht. Aber alle haben bis zur vollen Auslastung in die Maschine rein getreten. Und dann kam es schon vor, dass der Faden riss. Und es dauerte, bis dieser dann wieder in die Überwendlingsmaschine eingefädelt war. Das waren Verluste für die Frauen, weil sie ja in Leistung gearbeitet haben.

1950 begann in Karl-Marx-Stadt die Schirmproduktion. 13800 Stück wurden in einem Jahr gefertigt. Heute, wo die Zweimillionen-Grenze erreicht wurde, da ist das die Produktion von rund eineinhalb Produktionsjahren. Wir kennen unsere Aufgaben, sagt uns Genosse Stange. Als Produzent von Konsumgütern stellen uns die Beschlüsse des VIII.Parteitages große Aufgaben. Bis zum 31. Juli konnten wir unsere staatlichen Aufgaben erfüllen beziehungsweise übererfüllen. Unser Ziel ist, in diesem Jahr 5000 Schirme zusätzlich zu produzieren, aber auch für 125 000 Mark Ersatzteile. Die Lohnkosten für 1500 zusätzlich produzierte Schirme überwiesen die Werktätigen unseres Betriebes auf das Konto beim Postscheckamt Leipzig zugunsten der Mitfinanzierung des Karl-Marx-Monumentes.“ 5

Wiederholte Einsichtnahme (Ausschnitt), 2022

1-5 Zitate aus Zeitungsartikeln über den VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt. Frau Munzert sammelte Belege in einem Ordner im Zeitraum von 1967-1989. Es finden sich unzureichende Hinweise auf Herausgeber, Autor und Datum. Ersichtliche Kürzel wie FP, NBI oder ADN lassen Rückschlüsse auf Zeitungen/Zeitschriften zu: Freie Presse, Neue Berliner Illustrierte, Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst, aber auch Artikel aus Für Dich und der kombinatsinternen Zeitung Solidor sind dokumentiert.