Ich nutze hin und wieder Ebay, um nach Dingen, die mit der Schirmfabrik in Zusammenhang gebracht werden können, zu schauen. Ein Angebot lässt mich staunen: Es werden Beutelecken zum Kauf angeboten. Der Startpreis liegt bei 2,50€ und die Laufzeit beträgt noch 6 Tage. Ich beschließe zu warten.
Die Auktion endet und ich kann kaum glauben, dass jemand auf dieses Angebot bietet. Ich überlege mir meinen vorläufigen Höchstpreis und werde in knappen Schritten überboten. 19.21Uhr endet die Auktion und ich logge mich 19.15 Uhr ein, um meinen Preis zu erhöhen. Ich bestätige in den letzten 30 Sekunden und bin Höchstbietende. Ich schreibe dem Verkäufer eine Mail, um nach der Herkunft des Angebotes zu fragen. Die Ecken sind von seiner Mutter, sie hatte Beutel daraus genäht. Zwei Tage später erhalte ich von dem gleichen Verkäufer eine Nachricht. Er unterbreitet mir ein anderes Angebot: In einem Karton befinden sich noch mehr unterschiedlich farbige Ecken, ob ich Interesse daran hätte. Ich muss nicht lange überlegen, nachdem er mir ein Foto geschickt hat. Wir einigen uns auf einen Preis.
Bei den Ecken handelt es sich um zugeschnittene Schirmteile, die aus Gründen aussortiert und nicht mehr zu einem Schirm verarbeitet wurden.
Frau Lehmann, die 1973 zuerst als Durchseherin in der Schirmfabrik begann, erzählt bei unserem Treffen, dass die zugeschnittenen Dreiecke, erstmal nach Größe und Muster sortiert werden mussten. Wir haben jedes Teil einzeln gegen das Licht gehalten. Am günstigsten war Tageslicht (keine Sonne). Wir hatten aber auch eine hinterleuchtete Glasplatte. Fehlerhafte wurden aussortiert oder waren 2.Wahl. Wichtig war darauf zu achten, dass der Kranz, der später an der Krone sitzen sollte, eine schöne Spitze darstellte, sagt sie. Acht Teile ergaben einen Schirmbezug. Diese wurden dann gebündelt und gingen anschließend zum Nähen.
Unter dem Arbeitsgang Durchsehen und Aussortieren versteht man das Aufteilen der Schirmteile in die Gruppen erste Wahl, zweite Sorte und nichtverwendbare Teile, sowie die Sortierung nach Muster. Nur dadurch ist eine ordentliche Weiterverarbeitung möglich. Bevor wir mit dem eigentlichen Arbeitsgang beginnen, kontrollieren wir den Auftrag auf Farbunterschiede und Zuschnittgenauigkeit. Es gibt zwei Arten von Teilen: Erstens Randteile sind Teile, welche mit dem Boden an der Webkante lagen. Mit dem Abschneiden der Webkante können bei einer 60fachen Zuschnittauflage, Musterabweichungen entstehen und es werden deshalb diese Teile auch am Boden nach Muster sortiert. Zweitens Mittelteile sind Teile, welche mit dem Boden am eingewebten Trennstrich lagen. Diese haben durchlaufend das gleiche Muster am Boden und müssen nicht nochmals sortiert werden.
[Das Durchsehen- Auszug aus den Unterlagen der ehemaligen Lehrausbilderin Frau Munzert]
Das Durchsehen war immer mit langem Sitzen verbunden, erzählt Frau Lehmann. Das lag ihr nicht und sie wechselte später in den Zuschnitt, wo sie mehr Bewegungsfreiheit hatte. Ein Auftrag waren immer zwei Rollen. Auf einer Rolle befand sich ca. 860m Stoff, welcher auf eine lange Tafel aufgezogen wurde. Frau Lehmann lief 7 Meter hin und 7 Meter zurück bis der Stoff ausgelegt war. Am Schluss waren es 120 Auflagen. Wenn du gut warst als Zuschneiderin und voll gearbeitet hast, wie die R. Sonja, dann kannst du zum Beispiel vier Aufträge am Tag schaffen. Normal habe ich drei geschafft, bin aber auch um zwei nach Hause. Es gab aber auch eine ältere Frau, die hat nur zwei Aufträge geschafft, was ihr ausreichte, da sie alleinstehend war. Auch körperlich hatte sie es einfach nicht geschafft, zumal wir im Sommer Temperaturen von 30Grad hatten. Der Zuschnitt befand sich ganz oben, im dritten Stockwerk, ergänzt Frau Lehmann.