Bis an den Bodensee

In der Bäckerei Viertel in Adorf entdecke ich in einem Regal neben Gläsern mit Pflaumenmus Schirmbeutel. Die zwei Euro pro Beutel kommen dem Heimatverein zu Gute. Ich entscheide mich für einen Bordeauxfarbenen. Die Teile an den Seiten zeigen im Rapport eine ca. 2cm große Figur in schwarzer Herrenbekleidung mit Hut, weißem Oberhemd, Aktentasche und Stockschirm. Das mittlere Teil hat unterschiedlich breite dunkelrote, schwarze, bronzefarbene und graue Streifen.

Ich frage Frau Arnold, ob sie von dieser Aktion gehört hat. Sie meint, es ist bestimmt auf Initiative von Frau Schindler und Frau Speck entstanden. Beide Frauen sind im Klöppelverein und waren früher Kollegen in der Schirmfabrik.
Von Frau Speck, die von 1971 bis 1990 im Gestellager arbeitete, erfahre ich später, dass sie während des ersten Lockdowns in der Corona-Zeit 32 Beutel nähte und diese beim Bäcker zum Verkauf angeboten hat. Ich erzähle ihr, dass ich letztens einen dort kaufte, woraufhin sie lacht. Die Idee ist bei den Klöpplerinnen angestoßen worden. Sie und Frau Schindler haben halbfertige Beutel von einer früheren Kollegin bekommen und diese anschließend zu Hause fertig genäht.
Während unseres Gespräches holt Frau Speck vom Dachboden ihres Hauses Beutel, Teile und Taschen. Sie zeigt mir eine Umhängetasche. Sie besteht aus schwarzen zusammengenähten Streifen. Innen wurde die Tasche abgefüttert. Sie hat mehrere Fächer und ist mit einem Reißverschluss versehen. Früher wurde meist ein Etikett darauf genäht, oft aus alten Hemdkragen, was irgendwie nach Werbung aussah, erzählt Frau Speck, weil es so was in der DDR nicht gab.

Souvenir, Serigraphie, 2020, Lysann Németh

Ihr Mann kommt dazu und erzählt, dass er früher viele Beutel mit in den Betrieb genommen hat. Im Wohnungsbaukombinat in Karl-Marx-Stadt hatte er als Tischler gearbeitet.
Frau Speck zeigt mir die Beutel, die laut Silke, der Bäckerin, heute am Begehrtesten sind und sagt, dass alle vom ersten Stoss bereits verkauft wurden.
„Nun sehen sie mal, was ich mir alles noch vorgenommen habe, wenn Winter wird und ich meine Weihnachtsecke fertig habe, dann nähe ich auch wieder Beutel.“
Nach unserem Gespräch laufe ich beim Bäcker vorbei und erkundige mich nach den Beuteln. Am liebsten werden Schwarz-Bunte genommen, sagt die Bäckerin. Es sind junge Leute aus dem Ort, die diese Beutel kultig finden. Andere verpacken darin Stollen und schicken sie Verwandten an den Bodensee. Manche haben auch schon nach Vorbestellungen gefragt. Zum Abschied sage ich ihr noch, dass ich gerade bei Frau Speck war und Nachschub in Arbeit ist.