Langlebigkeit

Hallo Frau Németh,
eine Woche von Dresden bis Chemnitz, Hermes ich fass es nicht!
Die Schirme sind über viele Jahre im Schrank meines Vaters liegen geblieben und nicht mehr benutzt worden. Fachlich kann ich Ihnen leider überhaupt nicht weiterhelfen. Ich habe die Notiz gesehen, den Schirm kontrolliert, keinen Mangel entdeckt und dann vergessen, die Notiz zu entfernen. Sie dürfte im Klartext bedeuten „eine U-Strebe ist verformt“.
Auf Schirm-Forscher hatte ich mit meinem Angebot nicht gesetzt. Schirme mit Mängeln habe ich deshalb entsorgt, schade. Viel Erfolg bei Ihrer Arbeit!
Mit freundlichen Grüßen
U. L.

Frau Hielscher hat sich noch nicht so einen billigen Schirm gekauft, sagt sie und lacht dabei. Sie hat immer noch ihre zwei Taschenschirme, einen Stockschirm und einen Herrenschirm im Gebrauch. Die halten und gehen nicht kaputt. Frau Hielscher hat, als sie 1963 mit einer Ausbildung zur Schirmmacherin in der Schirmfabrik begann, alle Stufen der Schirmherstellung gelernt, so konnte sie später aus ihrem eigenen Bestand auch mal eine Strebe auswechseln. Ein halbes Jahr war sie im Bereich  Metall auf der Ritterstrasse in Karl-Marx-Stadt, Werk 2 des VEB Schirmfabrik. „Wir haben ein Päckchen Streben bekommen, den dazugehörigen Einbindedraht, oben die Krone, den Mittelschieber und dazu die jeweiligen Stöcke. Die Streben wurden von Hand mit Draht eingefädelt, erst in die Krone, dann in den Mittelschieber und unten eingebunden. Erst dann konnte man den Schirm öffnen.“
Über das Einbinden entnehme ich den Lehrunterlagen der theoretischen Ausbildung, die Frau Munzert dem Orts-und Heimatverein Adorf überlassen hat, folgende sehr präzise von ihr geschilderte Anleitung:
Wir nehmen Einbindedraht, die Länge muss 105 mm sein und fädeln auf diesem die 10 Streben der Strebe I auf. Jetzt nehme ich den montierten Stock mit dem Griff nach unten zum Einbinden. Jede Strebe wird in den vorgesehenen Schlitz an der Krone eingedrückt und eingebunden. Beim Einbinden müssen wir beachten, dass der Draht fest angezogen und dicht zusammengedreht wird. Nach 3-4 Umdrehungen wird der Draht abgeschnitten und die Drahtenden werden nach unten gedrückt, da sonst der Bezug beschädigt wird. Die 10 Streben der Strebe IV werden im Mittelschieber und die 10 Streben der Strebe III im Hauptschieber eingebunden. Die Länge des Einbindedrahts beträgt 95 mm.

Unsere Gestelle waren von guter Qualität, haben auch mal einen Überschlag ausgehalten, im Gegensatz zu den heute produzierten Billigschirmen aus Aluminium, wo der erste Windstoß die Streben wegknackt, stellt Frau Arnold fest. Auch die Passform der heutigen Bezüge ist mangelhaft. Im höheren Preissegment, ergänzt Frau Arnold, wären die Schirme aber besser.
Von Frau Weißbach erfahre ich, dass die Seide stichprobenweise von den Rollen entnommen und geprüft wurde. Sie wurde in einer Beregnungsanlage, unter der sich eine Glasscheibe befand, aufgespannt. Es gab einen Standard, wie die Glasplatte auszusehen hatte: Drang kein Wasser durch, war die Seide 1A. Zugelassen war aber auch Seide, die einen leichten Film auf der Platte hinterließ. Bei richtigen Tropfen allerdings war die Seide nicht in Ordnung. Man will ja einen Schirm nehmen, dass man beschirmt wird und nicht, dass man nass wird! Im Gegensatz dazu die Billigschirme: die Bezugsstoffe aus Polyamid helfen zwar erstmal, aber wenn man eine Weile damit läuft, fällt das Schirmdach immer mehr ein und es kann passieren, dass man über dem Kopf ein Wasserdach hat, wo sich der Regen sammelt. Frau Weißbach betont, dass sie keine Wegwerfartikel produziert haben. Es wurde auf Qualität und Langlebigkeit wert gelegt. Selbst wenn mal eine Strebe kaputt war, hat man den Schirm nicht weggeschmissen. Es gab in der Schirmfabrik oder auf dem Dienstleistungssektor die Möglichkeit die Schirme reparieren und auch neu beziehen zu lassen. In der DDR wurde so gebaut, dass Dinge eigentlich ein Leben lang halten sollten. Frau Weißbach hat immer noch ihre Ratiomatküche. Die Neckermannküche ihres Sohnes dagegen fällt bereits auseinander.