Keinen Plan mehr

Auf dem Sozialistischen Wirtschaftsgebiet war die Messe für uns sehr erfolgreich, zumal unsere Staatliche Auflage 1989 voll mit Aufträgen untersetzt werden konnte, wenn man die vorbereiteten Verträge mit einbezieht. Es zeichnete sich weiter ab, dass der Bedarf der sozialistischen Länder in Schirmen und an Schirmgestellen nicht voll befriedigt werden kann. Das betrifft besonders die Länder ČSSR, Polen und Ungarn, was darauf schließen lässt, dass auch 1990 keine Absatzprobleme eintreten werden. 1

Wir haben immer gesagt, wir sind die einzige Schirmfabrik. Man braucht doch immer einen Schirm. Wir hätten nie gedacht, dass es dem Ende zugeht.

Wir waren der trügerischen Meinung, weil wir die einzige Schirmfabrik sind, wir werden in irgendeiner Form bestehen bleiben. Wir hatten gehofft, zu überleben.

Wir sind der Meinung, dass Sie in dem jetzigen Gebiet der DDR und in den osteuropäischen Staaten auch in Zukunft gute Marktchancen haben, wenn Sie mit unserem Marketing-, Verkaufs- und Produkt-Know-How eine schlagkräftige Verkaufsorganisation in dem Gebiet der DDR und in Osteuropa aufbauen. 2

Flyer Chemnitzer Schirm GmbH, 1990

Mit der Wende, 90, ging es dann schon los, dass wir den Absatz nicht hatten. Es wurden welche entlassen, manche gingen in den Vorruhestand. Dann hieß es, die Schirme am Lager, die schon produziert wurden, was machen wir damit? Einer machte den Vorschlag, man könnte doch die Schirme verschenken. Da haben aber die Arbeiter gesagt: Nein, das gibt’s nicht, die Schirme werden verkauft. Wir verkauften unsere Schirme an Ständen in Siegmar, im Zentrum, überall. Das war noch mal ein reißender Absatz.

Im April 1990 beschloss man Sonderverkäufe durchzuführen. Ab 18.4.90 wurden neue Verkaufspreise festgelegt. In Chemnitz auf dem Brühl hatte die Schirmfabrik einen Verkaufskiosk. Ich glaube es waren 2 Kolleginnen, die dort verkauften. Ein anderer Mitarbeiter fuhr mit PKW und Schirmen durch die Republik. Zur Absegnung seiner Tätigkeiten war ich einen Tag mit ihm in Pulsnitz und Bischofswerda. Wir waren bei Schirmreparateuren und Konsum-Textilläden. Mit gelagerten Musterschirmen, auch mit tschechischen Aufdrucken, bin ich mit einer Kollegin zu Lederwarengeschäften gefahren. Es wurde damals alles gekauft. Einige Händler kamen in die Firma und wollten noch mehr Schirme.

Wir haben alle versucht, das Beste zu geben, um nicht negativ aufzufallen. Dass auch keiner sagt, Du machst sowieso nichts mehr, Du kannst nach Hause gehen. Wir hatten keinen Plan mehr. Wir haben gemacht, was wir geschafft haben. Es hat niemand gesagt, Du musst soundso viel bringen. Es hat niemanden mehr interessiert. Die Abnahme durch die Länder ist abgebrochen. Im Lager hat es sich gestapelt. Ein paar von uns haben dann noch Schirme verkauft.

Mit Frau Meyer aus dem Versand bin ich draußen rum gefahren. Vorher habe ich die Geschäfte ermittelt, wo wir zuvor schon immer hingeliefert haben. Wir hatten das Auto voller Schirme gepackt, alle Sorten und haben versucht, diese zu verkaufen. Alles was wir im Lager hatten, haben wir auch verkauft. Wir haben das ganze Erzgebirge abgefahren, bis Dresden, überall hin. Hauptschlager waren Stockschirme, die gingen sehr gut.

Frau Schindler und einige Andere waren dabei. Wir sind mit dem Auto bis nach Bärenstein gefahren. Wir waren in den Ortschaften und sind in die Betriebe, die noch bestanden und haben unsere Schirme verkauft, damit wir so viel wie möglich los bekommen und noch ein paar Pfennige dafür erhalten.

Viele bei uns im Versand sind noch mit dem Auto rum gefahren und haben mit verkauft. Wir sind bis in die TU nach Dresden gefahren. Es brach ja plötzlich alles weg. Es ging mit der Währung nicht mehr. Wie hätten wir denn unsere Schirme verkaufen sollen? Die Tschechen und Ungarn hatten ja keine D-Mark.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass über 90% der verkauften Schirme in der BRD Billigimporte sind und unter diesem Aspekt die einheimische Schirmindustrie bis auf einen Betrieb diesen Preiswettbewerb nicht standhalten konnte, sehen wir unsere Chance zum Überleben darin, mit dieser Firma Kooperationsbeziehungen aufzubauen und über einen Lizenzvertrag Schirme zu produzieren und unter einem weltweit bekannten Namen zu verkaufen. 3

Ein Mitarbeiter der Firma Kortenbach und Rauh hat sich das alles hier angeschaut. Eine Woche blieb er und wir kamen ins Gespräch. Er meinte, es wäre völlig aussichtslos, denn keiner produziert mehr über drei Etagen. Wir hatten ja auch noch Heftmaschinen aus Kaisers Zeiten, Mittelalter sozusagen. Nie hätten wir mit jemanden in Konkurrenz treten können. Das hat er uns schnell klar gemacht. Er hat gesagt, der Bau ist steinalt, die Transportwege nicht aktuell, der Maschinenpark veraltet. An dem gesamten Gebäude hätten sie keinerlei Interesse. Es könnten aber welche mit zu ihnen kommen, sie suchten Arbeitskräfte. Uns war dann klar, was passiert.

Aufgrund der Situation scheint es unabwendbar, dass Sie die Einzelteilfertigung und die Galvanik schließen. Wir würden empfehlen, dass Sie ihre Gestellmontage und Konfektion in einem Betriebsteil konzentrieren. Dies führt zu der Konsequenz, die übrigen beiden Werkteile zu schließen. Zum Überleben und Erhalten von wenigstens 3-400 Arbeitsplätzen erscheint uns jedoch diese Maßnahme unbedingt erforderlich. Erfahrungsgemäß werden Sie dafür ein halbes bis ein Jahr benötigen. 4

Das erste was aufgelöst wurde, war die Galvanik auf der Ritterstrasse in Chemnitz. Die Stanzerei und Metallurgie in Siegmar gab es auch nicht mehr. Nur die Verwaltung in Siegmar blieb erstmal bestehen. Wir haben die Schirmgestelle von unserem Kooperationspartner, der Fa. Kortenbach und Rauh aus Solingen, bekommen. Die wurden nach Adorf geliefert, wo die Konfektion noch lief. Alles andere war schon tot.

Zur Vermeidung der Kosten bei der Sanierung des Gebäudes Werk I und Heizung ist davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung des Wegfalls der Metallgrundfertigung und der Galvanik die Montage wie bisher im Werk II und die Endproduktion und der Vertrieb im Werk III erfolgen. Damit gelingt es, weitere Kosten zu sparen, wobei Überlegungen angestellt werden, dass die künftige [Chemnitzer Schirm] GmbH ihren Sitz in Adorf hat. 5

Eure Galvanik taugt nichts mehr, die ist für die Umwelt nicht gut und ihr dürft im Prinzip keine Gestelle mehr herstellen. Das wurde uns mitgeteilt. Das war ein kapitalistischer Schachzug. Ich hatte zwar noch das Glück, weiter arbeiten zu dürfen. Obwohl, na ja man hat den Tag so hingebracht. Viele technologische Änderungen gab es das letzte halbe/dreiviertel Jahr nicht mehr.

Es waren auch andere Interessenten da, wie die Fr. Grönlinger aus Wuppertal. Die waren an unserem Markenzeichen interessiert, weil sie selbst keines hatten. Das war eigentlich das beste Angebot. Aber nachdem der Begriff „Knirps“ fiel, ist der ehemalige Geschäftsführer der Chemnitzer Schirm GmbH schwach geworden und hat einen Joint Venture Vertrag mit der Fr. Kortenbach und Rauh unterzeichnet. Knirps haben wir aber gar nicht gekriegt, sondern Kobold.

Ausgehend von der Erkenntnis, ab 01. Juli 1990 modische Erzeugnisse anbieten zu müssen, werden auf der Grundlage der Kooperation mit einer Firma in der BRD ab 15.5.90 unserem Betrieb Fertigungseinrichtungen zur Produktion der Lizenzerzeugnisse übergeben. […] Vom Lizenzpartner erhalten wir die von uns geforderte Menge an Einzelteilen zur Fertigung der Lizenzerzeugnisse. 6

Da ging es doch schon los, wir sollten Maschinen von unserem Vertragspartner geliefert bekommen. Der LKW war aber nach zwei Tagen immer noch nicht da. Die Maschinen die dann kamen, waren Schrottdinger. Die haben das bewusst boykottiert. Die wollten uns töten.

Die haben uns dann ihre primitiven Einrichtungen geschickt, wo wir technologisch viel weiter waren. Wir hatten schon an den Vorrichtungen eine Pneumatik, da haben die uns mit Handhebel und so einem Zeug abgefertigt und gedacht, wir müssten erstmal die Arbeit erfinden.

Den Taschenschirm Kobold hat Kortenbach und Rauh hier 1990 konfektionieren lassen. Für die waren wir billige gute Arbeitskräfte. Die haben uns ihre Gestelle geliefert und wir denen dann die fertigen Schirme.

Beim Besuch von Vertretern unserer Firma in Solingen kam die unbefriedigende Situation im PR-Bereich zur Sprache. Aufgrund der veränderten Bedingungen durch Bildung einer Kapitalgesellschaft, des veränderten Firmennamens und des fast neues Erzeugnisprofils ist professionelle Öffentlichkeitsarbeit dringender denn je. 7

Es gab auch noch ein neues Prospekt, eher ein Faltblatt. Vorder- und Rückseite mit Informationen unseres neuen „Selbstverständnisses“. Aufgeklappt war es ca. A3 groß und diente gleichzeitig als Plakat. In großen Lettern stand „Die Wirtschafts- und Währungsunion hat sie möglich gemacht: Schirme – Made in Germany.“

Unser Taschenschirm ist der Kobold. Die Weltmarke mit dem zweitgrößten Bekanntheitsgrad. Wir kooperieren mit der Fa. Kortenbach und Rauh. Aus dem Solinger Qualitätswerk erhalten wir nicht nur die hochwertigen Gestellteile, sondern auch die notwendige Marketingunterstützung mit einer Vielzahl von Aktivitäten, die den Bekanntheitsgrad noch weiter steigern wird. 8

Kortenbach und Rauh hatten 100 Beschäftigte, die Schirmfabrik knapp 700 Beschäftigte. Für die waren wir eine riesige Bedrohung. Eigentlich hatten sie kein Interesse auf eine Kooperation. April/Mai 1990 wurden Kollegen und ich nach Solingen eingeladen. Als ich durch die Firma lief und feststellte, dort hinten ist Knirps und  näher gehen wollte, aber nicht durfte, dachte ich, irgendwas läuft hier falsch. Sind wir nicht Kooperationspartner?

1-7 Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Chemnitz , 31086 VEB Schirmfabrik Karl-Marx-Stadt
8 Werbeflyer Chemnitzer Schirm GmbH